Rezension: Katharina Nocun: Die Daten, die ich rief

Im Netz der Datenkraken – Katharina Nocun führt uns in die Welt der informationellen Selbstbestimmung ein
Ursprünglich wollte ich das Buch überhaupt nicht lesen – und zwar nur aufgrund des in meinen Augen völlig misslungenen Titels. „Die Daten, die ich rief“ bezieht sich natürlich auf Goethes Gedicht vom „Zauberlehrling“, der die Geister, die er rief, nicht mehr loswird. Im Zusammenhang mit Daten hinkt der Vergleich aber, da hier auf zwei vollkommen verschiedene Phänomene Bezug genommen wird: Einmal die Informationsvielfalt im Netz, die man als „Datenberieselung“ betrachten kann – die haben wir als Konsumenten tatsächlich „gerufen“. Entscheidend ist aber in puncto Datenschutz viel eher die Datensammlung durch Unternehmen und den Staat – die haben wir uns weder gewünscht, noch haben wir sie „gerufen“. Wir haben es vielleicht zugelassen, dass unsere Daten missbraucht werden, aber aktiv haben wir diesen Missstand – im Gegensatz zum Zauberlehrling – nie herbeigeführt.
Zum Glück habe ich mir den Blog der Autorin (kattascha.de) angesehen, auf dem die Bürgerrechtlerin und Netzaktivistin vor allem über Datenschutz und Netzkultur schreibt. Der Blog hat mich endgültig überzeugt, das Buch doch zu lesen – und die Lektüre lohnt sich! Vor allem Menschen, die sich mit dem Thema Datenschutz kaum oder wenig beschäftigt haben (und das dürfte die Mehrheit sein), können sich hier umfassend informieren. Die Autorin versucht aber nicht nur zu informieren, sondern vor allem zu sensibilisieren, denn beim „Datenschutz geht es nicht um den Schutz von Daten, sondern um den Schutz von Menschen. Informationelle Selbstbestimmung bedeutet nicht, dass man keine Daten von sich preisgeben darf. Es geht darum, die Entscheidungsfreiheit darüber zu behalten, welche Informationen wir mit wem teilen wollen.“ (299)

Unterhaltsam und gut verständlich nimmt uns Katharina Nocum mit auf eine Reise durch die Welt der Datensammler. Ausgangspunkt ist eine persönliche Erfahrung, die etwas in ihr bewegt hat: In der Umkleide einer Sauna wurde sie nackt gefilmt, ohne hinreichend darüber informiert zu werden. Diese Verletzung ihrer Privatsphäre wollte sie so nicht hinnehmen – die Kameras, die sich standardmäßig in allen Umkleiden befunden haben, wurden teilweise entfernt, so dass Saunabesucher heute selbst darüber entscheiden können, ob sie in einem kameraüberwachten Bereich blankziehen wollen oder nicht.
Nach diesem Erlebnis wollte die Autorin verschiedene Dinge herausfinden: Was wissen Unternehmen über mich? Was weiß der Staat? Wie sieht mein Datenschatten aus?
Zunächst macht sie sich bewusst, was ihr digitales Nutzungsverhalten über sie aussagt – und das ist eine ganze Menge, denn Smartphones und Computer prägen unseren Alltag und unsere Gewohnheiten wie kaum etwas anderes. Anschließend widmet sie sich dem Thema Kundenkarten und Bonuspunkte. Wer unser Konsumverhalten kennt, kennt uns oft besser als wir uns selbst kennen, da in diesem Bereich vieles unbewusst abläuft. Und wer weiß, was wir kaufen, kann uns nicht nur gezielt mit personalisierter Werbung bombardieren, sondern auch Marktforschung betreiben und z.B. Preisanpassungen vornehmen, etwa dann, wenn klar ist, dass Kunden Produkte auch trotz höherer Preise kaufen. Wirklich interessant werden solche Informationen natürlich dann, wenn viele mitmachen – Masse ist Macht. Unterschiedliche Preise sind im Netz bereits gang und gäbe. Als bekannt wurde, dass Applekunden bei den gleichen Flügen oft deutlich höhere Preise als Nutzer von Android zahlen mussten, gab es einen Aufschrei. Geändert hat sich trotzdem kaum etwas. Wer eine Reise im Netz bucht, sollte dringend überprüfen, ob eine Buchung am PC oder mit anderer IP-Adresse nicht Preisvorteile bringt (wobei hier bei Buchungen mit ausländischen IPs teilweise Vorsicht geboten ist, weil z.B. Steuern noch nicht mitgerechnet sind). Personalisierte Preise sind also bereits Realität.
Auch „Datenkraken“ wie Amazon, Facebook und Fitness-Apps nimmt sich die Autorin vor. Hier herrscht immer noch viel zu wenig Transparenz. Als Nocun bei Amazon Auskunft über die Daten, die das Unternehmen über die gespeichert hat, einfordert – Unternehmen sind gesetzlich dazu verpflichtet, diese Auskunft zu gewähren -, geht zunächst die CD mit ihren Daten verloren. Nach mehreren Wochen taucht sie doch wieder auf und der Umfang der Datensammlung ist erschreckend. Doch Amazon speichert sogar noch mehr Daten, die auf der CD allerdings fehlen. Nicht nur Käufe und Wunschlisten werden gespeichert, sondern auch das Klickverhalten. Erst nach einer weiteren Anfrage erhält die Autorin eine zweite CD, auf der auch ihr Klickverhalten dokumentiert ist.
Wer das Ganze in die analoge Welt überträgt, merkt, wie unangenehm diese Vorstellung eigentlich ist. Stellen Sie sich einmal vor, ihr Buchhändler würde sie auf Schritt und Tritt verfolgen und notieren, auf welche Bücher ihr Blick fällt und welche Klappentexte sie sich näher ansehen.
In einem anderen Kapitel macht die Autorin sich die Mühe, sämtliche AGBs zu lesen. In was willigen wir eigentlich ein, wenn wir Facebook & Co beitreten? Hand aufs Herz: Wer liest schon AGBs? Kaum jemand! Dies beweisen zahlreiche Versuche, bei denen unsinnige Klauseln in Vereinbarungen eingefügt wurden, die kein Mensch gelesen hat. Macht man sich einmal bewusst, wie zeitaufwändig es wäre, alle Datenschutzerklärungen und AGBs zu lesen, in die wir einwilligen, versteht man die Problematik.

Aber nicht nur Unternehmen haben Interesse an unseren Daten, sondern auch der Staat. Vorratsdatenspeicherung und Überwachung werden in diesem Zusammenhang stets mit dem Versprechen verknüpft, für mehr Sicherheit zu sorgen. Stimmt das überhaupt? Bedeutet Überwachung einen verstärkten Schutz? Hier wird klar, dass dies nicht der Fall ist. Die Beschneidung der Freiheit erhöht die Sicherheit nicht – im Gegenteil! Trotzdem sprechen sich immer noch viele Menschen für eine verstärkte staatliche Überwachung aus, denn man selbst habe ja nichts zu verbergen. Nocun zitiert dazu Edward Snowden: „Das Argument, dass Ihnen das Recht auf Privatsphäre egal sei, weil Sie nichts zu verbergen hätten, ist nichts anderes, als zu behaupten, Ihnen sei das Recht auf freie Meinungsäußerung egal, wie Sie nichts zu sagen hätten. Eine freie Presse nützt nicht nur denjenigen, die Zeitung lesen.“ (299) Staatliche Überwachung kann keine Garantien gewähren und bedeutet vor allem eine Konzentration von Macht.

Zum Schluss gibt die Autorin ganz konkrete Tipps, was jeder von uns tun kann, um ein selbstbestimmteres Leben zu führen. Von Datensparsamkeit und der Inanspruchnahme des Auskunftsrechts, über Updates und die Nutzung starker (und unterschiedlicher) Passwörter, bis hin zu anonymen Surfen und richtigem Löschen, gibt es doch einige Dinge, die zu einer erhöhten Sicherheit im Netz beitragen. Auf keinen Fall sollten wir es uns egal sein lassen, denn damit tun wir nichts anderes, als Menschenrechte aufzugeben – und das kann im 21. Jahrhundert nicht die Lösung sein.
Wer sich in das interessante Gebiet des Datenschutzes und der informationellen Selbstbestimmung einlesen möchte, findet mit Katharina Nocuns Buch eine hervorragende und gut verständliche Einführung in das Thema.


Katharina Nocun: Die Daten, die ich rief
erschienen am 27. April 2018
www.luebbe.de

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