Kolumne: Fußnoten zum 21. Jahrhundert (1)

„Ich hab schon mal ne Katze in echt gesehen! So sieht keine Katze aus…“ – Die infantile Fratze der Konsumkultur

Erwachsene, die einen auf jugendlich machen, sind ein häufiges Phänomen. Noch bemerkenswerter sind allerdings Erwachsene, die Kinder spielen. ViktoriaSarina heißt der Youtube-Kanal zweier Österreicherinnen, deren Zielgruppe Grundschulkinder sind. In einer Art Puppenstube in Pastell sitzend, packen die Kanalbetreiberinnen Dinge aus, die „voll im Trend“ liegen. Im Hintergrund hockt ein gigantischer hellblauer Stoffhase und zwei Chihuahuas turnen herum. Das Ding ist: Viktoria Steiner und Sarina Hütter sind 22, verhalten sich aber wie Klischeekindergartenkinder. Selbst ein Fan merkt an: „Sarina macht sich wie ein Baby. Und süße Stimme nichts gegen euch“ und garniert das Ganze mit Smileys mit Kussmund und Herzchenaugen.

Die 22-jährigen Influencerinnen Viktoria Steiner und Sarina Hütter in ihrem aktuellen Video (Quelle: youtube)


Meine Tochter ist Grundschülerin. Sie hat Freundinnen, die sich zu Weihnachten, zum Geburtstag und Ostern fast ausschließlich Dinge wünschen, die die beiden Studentinnen (manchen Quellen zufolge studieren sie Germanistik, anderswo ist die Rede von BWL) in ihren Videos promoten. Bei der Faschingsfeier vor zwei Tagen kamen einige Mädchen mit bunten „Viktoria-Haaren“ zur Schule. Die beiden Frauen sind Vorbilder. Mittlerweile haben sie ihr zweites Buch herausgebracht, das sich hervorragend verkauft. Es ist ein Eintragbuch, das wie eine Art Freundebuch aufgebaut ist und 15 Euro kostet.

Nach mehreren Schichten Verpackung, muss die Plastikkatze aus der braunen Knete gepult werden (Quelle: youtube)


Im heutigen Video packen die beiden Frauen mit piepsigen Mädchenstimmen Kawaii-Kram aus, der „mega im Trend“ liegt. Kawaii ist japanisch und bedeutet „liebenswert“, „süß“, „niedlich“, „kindlich“ oder „attraktiv“. „Hello Kitty“ ist der Inbegriff von „kawaii“. Im vergangenen Jahr waren „Squishies“ der Renner bei Grundschulkindern und Co. Da das stark duftende Knautschspielzeug aus Kunststoff giftige Chemikalien ausdünstet, wurde es in einigen Ländern verboten. Deutschland gehört nicht dazu.
ViktoriaSarina freuen sich im aktuellen Video über „Num Noms“, Joghurtbecher, in denen in einer weiteren Plastikverpackung Lipgloss in zwei Geschmacksrichtungen, umhüllt von einer Gummiverpackung, versteckt ist. In einer weiteren Plastikhülle steckt dann ein Plastiktöpfchen mit zwei Lipglossgeschmacksrichtungen. Die beiden Frauen testen das Lipgloss auch gleich, Viktoria stellt aber fest: „Also, ein qualitatives Lipgloss kann man nicht erwarten, aber ich glaub darum geht’s auch gar nicht!“ Sarina ergänzt: „Es geht um diese Hüüüülle!“ Anschließend wird das Produkt bewertet. Weil es wahnsinnig niedlich, also kawaii ist, schneidet es auch gar nicht so schlecht ab, denn wir haben gelernt: Bei einem Lipgloss geht es nicht um den Lipgloss, sondern um die Hüüüülleeee!
Ein weiteres Kawaii-Produkt wird ausgepackt. Diesmal sieht es „grusliger“ aus, weshalb es wohl eher was „für Jungs“ ist – in der Plastikverpackung befindet sich ein Squishie in Form einer hautfarbenen Toilette. Kommentar Viktoria: „Das war so klar, dass bei UNS das Klo drin ist!“ Sarina: „Und es verliert Schleim!“ Wenig später ergänzt die Frau mit den Zöpfchen: „Schickt uns Fotos von euren Klos! Wer hat das ähnlichste?“

Ein Knautschspielzeug in Form einer Toilette (Quelle: youtube)


Anschließend wird ein Plastikeis ausgepackt. Darin befinden sich zwei Plastikeier, in denen jeweils eine von brauner und pinker Knetmasse umhüllte Plastiktüte versteckt ist. In einer Plastiktüte ist ein Kätzchen ohne Wollknäuel, in der anderen ein Plastikkätzchen mit Wollknäuel. Die Frauen sind begeistert und geben fünf Punkte.
Zwischendurch wird das eigene Mitmachbuch mit der „pinken Buchkante“ beworben.
Es geht weiter mit „Kawaii-Kram“. In einer Milchtüte versteckt sich ein Joghurtbecher, darin wieder Knete und ein weiterer Plastikbeutel. Die Produkte sind wie Plastikmüllmatrjoschkas aufgebaut. Am Anfang ist da eine Milchtüte und nach mehreren Schichten stößt man auf fingernagelgroßes Plastikspielzeug in Form einer Katze. Der Beipackzettel animiert zum Sammeln.

Ein Joghurtbecher mit Knete – darin eine Plastiktüte mit fingernagelgroßem Plastikspielzeug (Quelle: youtube)


Ein riesiger Plastiklollie und Hatchimals werden ebenfalls noch ausgepackt – zu den Hatchimals haben die beiden bereits ein ganzes Video gemacht. In einem Plastikcupcake verbirgt sich nach dem Entblättern mehrerer Schichten ein Plastikdöschen mit Glitzerpulver. 4 Punkte. In einer Milchtüte ist schließlich noch ein überdimensionaler leuchtender Plastikring versteckt.
Nach der Aufforderung, einen Daumen nach oben zu hinterlassen und der Frage, welchen Kawaii-Namen die Zuseherinnen sich selbst geben würden (Viktoria: „Fabulous Vicky“; Sarina: „Sunny Sarina“), wird das Publikum mit fliegenden Küssen verabschiedet.

„Lasst dem Video unbedingt einen Daumen nach oben da!“ (Quelle: youtube)


Mehrmals pro Woche erwachsenen Frauen, die sich wie Kindergartenkinder gerieren, beim Auspacken von Plastikspielzeug zuzusehen, macht etwas mit einem. Mädchen fangen an, so zu sprechen wie Viktoria und Sarina, denn die beiden sind Vorbilder. Mittlerweile traue ich mir zu, bei vielen Kindern und Jugendlichen anhand ihrer Sprachmelodie und Stimmlage zu erkennen, wer ihr Lieblingsyoutuber ist. Luca-Concrafter-Fans sind übrigens besonders leicht identifizierbar. Wobei die Imitation des Stimmklangs und der Satzmelodie vermutlich noch das geringste Problem sind. Erlernt wird vor allem ein Konsumverhalten, das in diesem speziellen Fall zum Beispiel nahelegt, dass man ewig fünf bleiben kann. Bereits bei Grundschulkindern werden Konsummuster geprägt, die sich durchs ganze Leben ziehen (vgl. Lipgloss). Im Mittelpunkt steht in diesen Videos aber stets der Akt des Auspackens. Die Verpackung wird wichtiger als der Inhalt und das Auspacken wird zum Event. Zahlreiche „Unboxing“-Videos zeigen, dass dieser Aspekt auch bei Erwachsenen eine wichtige Rolle spielt. Es ist, als ob täglich Geburtstag oder Weihnachten wäre. Aber wer kann da schon dauerhaft mithalten?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.