Kommentar: Ist weniger immer mehr?

„Kauf dir 1neues etwas“ – Was tun gegen Konsumsuchtdruck?

Über 100 Menschen sind auf der Suche nach einer hilfreichen Verhaltensweise oder dem „richtigen“ Objekt der Begierde. In einer Minimalismus-Gruppe meldet sich Sonja zu Wort: „Hi. Ich habe ein (Luxus-)Problem. Seit Wochen habe ich den Wunsch, mir etwas Materielles zu gönnen. Aber mir fällt nichts ein. Ich brauche nichts. Und ich möchte nichts haben. Aber der Gedanke verschwindet nicht.
Kennt das jemand? Was kann ich dagegen tun?“

Buch oder Essen? Buch und Essen!

Sonja weiß nicht, was sie wollen soll. Sie weiß nur, dass sie etwas will. Oder etwa doch nicht? Wer Rat sucht, fragt am besten tausende Fremde.  Dabei will Sonja eigentlich gar nicht wissen, was sie will – sie will nur, dass das Wollen weggeht und sie wunschlos zurücklässt. Ist Konsumlust eine Krankheit, von der man geheilt werden kann?

Machen Aktien glücklich? Claudia und Anna sind überzeugt davon.

Mehr als 100 Menschen haben Kommentare hinterlassen – meistens mit konkreten Tipps, welche Konsumgüter oder Verhaltensweisen gegen das Gefühl der Getriebenheit helfen könnten. Am häufigsten werden in den Kommentaren „Therapieversuche“ unternommen.  Edmund rät zum Beispiel: „Gaanz, gaaanz still in eine Ecke setzen und in Ruhe warten, bis der Anfall vorüber ist.“ Hier wird der Wunsch zu konsumieren als „Anfall“ pathologisiert. Kamilla fragt nach: „Wie heißt der Gedanke genau? Und ist dieser Gedanke emotionsgeladen oder nicht?“ Und Silvia will es ganz genau wissen: „Der Gedanke lautet wirklich ‚Ich möchte etwas Materielles‘, ohne Konkretisierung?“ Mehrere Gruppenmitglieder sind davon überzeugt, dass diese innere Leere aus einem Mangel an „Zuneigung, Anerkennung etc.“ resultiert. Das „Unterbewusste“, „Kompensation“ und „Konditionierung“ werden genannt. Mehrfach ist die Rede davon, dass es möglich ist, sich ein „inneres Programm“ abzutrainieren.
Zahlreiche Gruppenmitglieder raten zu einer Spende – „für das gute Gefühl“.

Café, Natur oder doch ein psychisches Problem?

Überdurchschnittlich oft werden auch Pflanzen und Natur als Heilmittel genannt. Neben dem Kauf von Pflanzen (u.a. Rosen) werden auch Gartenarbeit und das Pflücken von Zweigen empfohlen. Spaziergänge und Sport an der frischen Luft, vorzugsweise im Wald erscheinen vielen Gruppenmitgliedern als hilfreicher Ansatz.
Auch Wellness ist ein wichtiges Thema. Neben dem Besuch einer „Therme“ oder einer „Sauna“, wird besonders oft eine „Massage“ genannt. Café-Besuche und „gutes Essen“ werden ähnlich oft erwähnt wie „ein gutes Buch“ und Kino- oder Theaterbesuche. Der Kauf eines Lippenstiftes wird mehrfach empfohlen – erstaunlicherweise häufiger als der Kauf eines Kleidungsstückes.

Einfach was Neues kaufen!

Mehrere Frauen raten dazu, Geschäfte zu durchstreifen, ohne etwas zu kaufen. Barbara meint, dass es am sinnvollsten wäre, einfach irgendwas zu kaufen: „Kauf dir 1neues etwas“. Als Ferdinand entsetzt entgegnet: „Das ist wie rauch eine Zigarette. Ok du weißt dann dass du es wirklich nicht brauchst aber fühlst dich trotzdem eklig“, erwidert sie „naja… also ich hab mir 1neues rotes sommerkleid gekauft und finde es gar nicht ekelig.“
Weitere Vorschläge sind: „Aktien und Wertpapiere“, „ein neues Fahrrad“, „ein Musikinstrument“ sowie „Goldmünze oder Schmuckstück“. Zwei Gruppenmitglieder berichten von Gegenständen, die kürzlich kaputtgegangen sind und deshalb ersetzt werden müssen. Astrid ist mit ihrer Jacke an einem Nagel hängengeblieben und will deshalb eine neue kaufen, aber Annette empfiehlt ihr, den Riss vom Schneider reparieren zu lassen. Bei Hubertus ist die Neuanschaffung kostenintensiver: „Ich hatte einen Maschinenschaden am Auto“, schreibt er.
Erstaunlich ist, dass nur zweimal der Vorschlag gemacht wird, etwas mit anderen Menschen zu unternehmen: „Kuchen backen und jemand einladen“ und „Kauf dir ein neues Fahrrad und mach eine schöne Fahrradtour mit Freunden???“ Mit dem Suchtdruck muss wohl jeder alleine fertig werden. Sex wird übrigens kein einziges Mal erwähnt.

Weiße Wände

Zum Schluss schreibt Sonja, dass sie nach vielen erfolglosen Versuchen, den Druck abzubauen (Cafébesuch, Spaziergang, Badewanne) doch noch etwas entdeckt hat, das sie zumindest vorübergehend erleichtert: „Für heute habe ich einen Weg für mich gefunden: ich habe wieder einige Sachen bei eBay eingestellt (Das tut mir gut.) und koche nun was Leckeres.“
Der Beitrag bringt die geballte Leere und Langeweile auf den Punkt, die unsere Konsumgesellschaft umtreibt. Der Wunsch zu konsumieren ist wie ein unbestimmter Appetit auf irgendwas, das man nicht im Kühlschrank findet. Sehr gut kommt dies an beinahe jedem Wochenende in regionalen Kleinanzeigengruppen zum Ausdruck, wenn mehrfach die Frage gestellt wird, wo verkaufsoffen ist.
Sind unsere Konsumgewohnheiten durchweg krankhaft? Gilt es, den Kauf von materiellen Gütern weitgehend zu vermeiden? In einer Minimalismusgruppe sind die Meinungen dazu durchaus heterogen. Nicht jeder ist ein Hardliner, der jeglichen Konsumwunsch unterdrücken will. Für einige Gruppenmitglieder scheint Minimalismus aber doch eine Art Religionsersatz zu sein. Konsum wird dann z.B. als etwas Schmutziges betrachtet und Verzicht mit Reinheit gleichgesetzt. Dieses Motiv spiegelt sich u.a. auch in der Farbwahl für die eigenen vier Wände wider: „Weiß. Ohne Bilder.“
Letztendlich liegt dem Wunsch nach klaren Regeln und Heilsversprechungen, die Sehnsucht nach Sicherheit zugrunde. Wer in einer Minimalismusgruppe nachfragt, wie Minimalismus sich am besten verwirklichen lässt, möchte zumindest in dieser Hinsicht alles richtig machen, denn die Furcht davor, dem Suchtdruck zu erliegen, würde nicht nur ein Versagen, sondern – in einem religiösen Kontext – eine Verunreinigung bedeuten.

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