Jan Peter Bremer: Der junge Doktorand

„Hörst du denn gar nicht, was für einen Unsinn du redest!“ – Jan Peter Bremer erzählt die Geschichte vom Künstler und seiner Frau

Günter Greilach ist Künstler und lebt mit seiner Frau Natascha in einem „Städtchen“. Zwei Jahre lang haben die Beiden auf den „jungen Doktoranden“ gewartet, der Greilachs Werk nun endlich akademisch adeln soll. Doch jedes Mal wurde der Besuch abgesagt. Mal musste der junge Doktorand nach Spanien, dann hatte er dort einen Reitunfall und lernte eine bildschöne Krankenschwester kennen, die er schließlich heiratete und irgendwann starb sie dann auch wieder auf tragische Weise. Doch eines Abends steht er doch noch vor der Tür: Florian Sommer. Jung ist er zwar, aber sowohl optisch als auch charakterlich ganz anders als erwartet. Natascha, die sich ständig Gedanken darüber macht, was andere von ihr denken, fantasiert auch gleich zusammen, wie eine Begegnung zwischen ihrer Freundin Jutta und dem Sehnsuchtsgast ausgesehen haben könnte: „Das ist doch nicht der junge Doktorand, von dem sie immer erzählt. Ich zumindest habe mir ein ganz anderes Bild von ihm gemacht. Euch hat sie ihn doch bestimmt auch immer wieder beschrieben. […] Mir zumindest fällt es schwer, mir diese plumpe Gestalt, die eben hier war, auf einem Pferd vorzustellen und erst recht nicht bei einem königlichen Reitturnier in Andalusien. Natascha Greilach hob die Hände unter der Bettdecke hervor und rieb sich über die Stirn. Hatte sie Jutta und den anderen, wenn in der Eisdiele das Gespräch auf den jungen Doktoranden gekommen war, wirklich so ein genaues Bild von ihm vermittelt?“
Der junge Mann, der zu Besuch kommt, hat weder „große, dunkle Augen“ noch einen „scharf geschnittenen, sinnlichen Mund“ oder „dichte schwarze Locken“. Er ist ein Schluffi, der ständig in der Bauchtasche seines Kapuzenshirts nach seinem Tabakbeutel und seinem Telefon tastet. Doch die Ankunft dieses Mannes führt dazu, dass sämtliche aufgestaute Frustrationen innerhalb der Beziehung zwischen Greilach und seiner Frau, sich innerhalb von nicht einmal 24 Stunden entladen. Es kommt zu Machtspielen, in deren Rahmen sich das Paar demütigt und zerfleischt. Ganz kurz kommt sogar der junge Doktorand zu Wort, der dem, was er zu sein vorgibt – oder besser: zu was er sich genötigt fühlt – ganz und gar nicht gerecht wird.
Jan Peter Bremer ist ein kleines Meisterwerk gelungen, das aufgrund der dramaturgisch unglaublich ausgefeilten Dialoge an Stücke von Edward Albee („Who’s afraid of Virginia Woolf?“) oder Dogma-Filme erinnert – angesichts des grotesken Charakters manchmal auch ein wenig loriothaft wirkt.
Obwohl das Buch so gut wie fast ausschließlich aus inneren Monologen und Dialogen besteht, ist es nicht handlungsarm. Innerhalb weniger Stunden werden die ganzen Abgründe einer Paarbeziehung durchexerziert. Besonders spannend ist dabei das Spiel mit der Erwartung – die Figur des Doktoranden wird derart mit Erwartungen aufgeladen, dass kein Mensch all dem gerecht werden könnte. Während Günter Greilach einen Künstler erwartet, der sein Werk zu schätzen weiß und in seine Fußstapfen treten kann, hofft Natascha Greilach auf einen attraktiven jungen Mann, der sie einfach mag. Und Florian Sommer, der gar nicht gefragt wird, was er eigentlich möchte, sondern seine Lebensplanung widerwillig den Träumen seiner Mutter unterordnet – nur um heimlich doch dagegen zu rebellieren -, schafft es bis zum Schluss nicht, sich klar zu positionieren. Er ist der Puck, auf den das streitende Paar eindrischt, um einen Treffer nach dem nächsten zu landen.
Was für ein glänzendes Kammerspiel!

Jan Peter Bremer: Der junge Doktorand
erschienen am 2. September 2019
www.piper.de

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