Rezension: „Lebt wohl, ihr Genossen und Geliebten!“ von Carmen-Francesca Banciu

„Vater will bestimmen über den Tod hinaus“ – Carmen-Francesca Banciu erzählt von Macht und Verletzlichkeit

„Für Vater waren drei Dinge wichtig
In der festgefügten Reihenfolge
Das Vaterland
Die Partei
Die Ehre der Familie
So hat Vater mir das erklärt
Schon in meiner Kinderzeit
So hat Vater das immer gesagt
So hat Vater das in seinen Reden geschrieben
So hat Vater das in seiner Abschiedsrede betont“ (7)
Das ist der gewaltige Auftakt von Carmen-Francesca Bancius in Versen verfassten Roman „Lebt wohl, ihr Genossen und Geliebten!“. Unerbittlich folgt eine Parataxe der nächsten, ohne eingeschobene Erklärung, emotionslos, intensiv und absolut wie die Ansprüche des Vaters, der bis zum Schluss nicht von Macht und Kontrolle ablassen kann. Seine Grabrede verfasst er – wie Trimalchio aus Petronius‘ „Cena Trimalchionis“ – selbst, genau wie die Traueranzeige. Sogar nach seinem Ableben möchte er die anderen nicht selbst zu Wort kommen lassen. Die Inszenierung seines Todes nimmt er ganz alleine in die Hand. Alphörner müssen es sein, ein Trauerzug durch die Stadt, am besten ein gläserner Sarg und ein Mausoleum.
Die Ich-Erzählerin ist seine Tochter Maria-Maria. Vor vielen Jahren ist sie aus der rumänischen Heimat nach Deutschland ausgewandert. Die Mutter ist früh gestorben. Ihr Mann hat ihr viel Kummer bereitet mit seinen unzähligen Geliebten. Zwei sind bis zum Schluss geblieben: Seine Sekretärin Rebeca, die geduldig und gütig mehr als 50 Jahre lang über alle Verfehlungen hinwegsieht und die kapriziöse und eifersüchtige Daria, die viel jünger als der Vater ist und sich als Krankenpflegerin einst um die sterbende Mutter kümmerte. Nachdem der Vater einen Unfall hatte – er wollte Kartoffeln kaufen, ist bei Rot über die Ampel und wurde angefahren – liegt er schwerverletzt im Krankenhaus. Bald ist klar, dass der gealterte Patriarch seinem Ende entgegensieht. Die Tochter kommt und versucht lange Zeit, Abschied zu nehmen, von einem Mann, der einst ihr Vorbild war und sie doch nie wertschätzen konnte, weil sie seine Tochter war und eben kein Sohn. In einem mitreißenden inneren Monolog lässt die Erzählerin auch die Frauen, die der Vater um sich hatte, zu Wort kommen. Es ist viel von Aufopferung die Rede, von Pflicht und Schuld. Die junge Daria, die nur wenige Jahre älter als Maria-Maria ist, verhält sich hochgradig manipulativ. Sie ist selbst krank und spricht ständig von ihrem Mitleid für den Vater und von ihrer Aufopferung. Die deutlich ältere Rebeca ist genügsam und erwartet nichts. Sie will nur geben. Und damit ist sie das genaue Gegenteil von Daria mit ihren hohen Ansprüchen und ihrer krankhaften Eifersucht. Und während der Vater zunächst schweigend, später schimpfend, im Sterben liegt, tragen die beiden Geliebten Machtkämpfe an seinem Sterbebett aus. Ich musste an den Titel eines schmalen Josef-Winkler-Bandes denken: „Leichnam, seine Familie belauernd“. Der Todgeweihte ringt mit dem Tod, kann nicht loslassen. Er ist wütend und fassungslos. Der Tod ist die einzige Instanz, die er nicht im Griff hat und damit tritt die ganze Verletzlichkeit des Machtmenschen zutage. Als die um späte Anerkennung kämpfende Tochter den Vater am Sterbebett verlässt, um ihrer Pflicht nachzukommen, so wie sie es von ihren Eltern immer gelernt hat, bleibt er in Panik zurück:
„Vater war ein Vogel ohne Flügel
Gefangen in einem ungewollten Nest […]
Wovor hatte Vater Angst um weiterzuleben
Das letzte Mal, als ich Vater gesehen habe
Ist Vater in Panik geraten“. (312)
Während sie in Venedig weilt, der Stadt der Brücken, überschreitet ihr Vater die Brücke. Die Tochter schreibt:
„Nach dem Tod wird er ein Rabe sein
So hatte er sich das vorgestellt
Nach dem Tod wird er ein Rabe sein
Und kein Löwe, wie es in seinem Horoskop steht
Nach dem Tod wird er ein Rabe sein
Mit pechschwarzem, schimmerndem Federkleid
Nach dem Tod wird er ein Rabe sein
Mit glänzendem Schnabel
Die Füße mit Goldschuppen geziert
Nach dem Tod wird er ein Rabe sein
Und so ist es auch gekommen“. (332)
Bancius in Versen verfasster Text entfaltet eine Sogwirkung, der ich mich nicht entziehen konnte. Mich hat das Ganze an zeitgenössische Dramatik erinnert, an Elfriede Jelineks Textflächen, die eigentlich gesprochen werden müssen. Ich konnte die Stimmen der Tochter und der Geliebten, der Mutter und des Vaters hören. Es ist ein hoch dramatischer Text, ungeheuer intensiv und lebendig.

Carmen-Francesca Banciu: Lebt wohl, ihr Genossen und Geliebten!
erschienen am 30. August 2018
www.palmartpress.com

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