Rezension: „Miakro“ von Georg Klein

„Ödblöde Glastage“ oder Höhlengleichnis 2.0

Momente, in denen das Bewusstsein vom Wachsein in den Schlaf kippt, Übergangszustände zwischen Realität und Traum, beschwören in uns oft Bilder aus ungeahnten, bisweilen sogar erschreckenden Tiefen herauf. Künstler nutzen diese sogenannten hypnagogen Bilder gerne für ihre Arbeit, der Theatermacher und Lehrer Keith Johnstone zum Beispiel – und Georg Klein, der in einem Interview zu seinem jüngst erschienenen Roman „Miakro“ angab, seine Ideen aus dieser Quelle zu schöpfen.
„Miakro“ ist ein geheimnisvolles und unheimliches Buch. Ich muss zugeben: Es ist das seltsamste Buch, das ist in diesem Jahr gelesen habe. Und ich habe – für meine Verhältnisse – verdammt lange dafür gebraucht. Es ist kein Pageturner, der sich einfach so „wegliest“. Es ist eine Geschichte, die man vielleicht mehrfach lesen sollte, damit Kleins Sätze nach und nach ins Gehirn sickern können.
Worum geht es? Um zwei Welten, die wie diametral entgegengesetzte Paralleluniversen wirken. Da gibt es einmal die unterirdische Bürowelt, die absolut steril und festgelegt ist. Dort arbeiten Männer – Büroler – Tag für Tag an weichen Glasbildschirmen. Was genau sie machen, weiß man gar nicht, oder man kann es sich nicht in einen sinnvollen Kontext eingebettet vorstellen. Sie sehen sich Bilder an und hören Dinge. Das Ganze erinnert natürlich an die Verschmelzung mit Smartphone, Tablet & Co und wirkt nachgerade zombiesk. In der unterirdischen Bürowelt gibt es Nährgänge mit Ausstülpungen, an denen die Büroler wie an einem Euter trinken können. Es sind die „ödblöden Glastage“ (116), die einige Männer des „Mittleren Büros“ hinter sich lassen möchten. Die Entscheidung fällt, nachdem einer von ihnen – Nettler – krank und im Fieber war. Die Büroler machen sich also auf den Weg in eine andere Welt, heraus aus der Bürohölle oder –höhle – und natürlich musste ich an Platons Höhlengleichnis denken, denn was das weiche Glas zeigt, ist eben nicht echt, sondern nur ein Abbild. Auf der Suche nach der wahren Welt, stoßen die Männer, die genormte Namen tragen, Nettler, Schiller, Guler, Wehler, Axler, Hübscher – alle mit einer männlichen er-Endung – auf viel Unheimliches. Und schließlich kommen sie an in der Welt oberhalb der Erdoberfläche, einer archaisch anmutenden Gegend, die in Rayons eingeteilt ist und die man sich hervorragend als verfilmte Dystopie vorstellen kann. Die Macht liegt in dieser Welt übrigens bei einer Frau: Fachleutnant und Naturkontrollagentin Xazy. Während das Büro Ödheit bedeutete, geht es an der Erdoberfläche um den Kampf. An die Stelle des weichen Glases tritt die harte Realität, in der unsere Zeit immer nur als „Vorzeit“ bezeichnet wird.
Georg Kleins „Miakro“ ist eine Dystopie, die erschreckend viel und doch überraschend wenig mit unserer heutigen Lebenswelt zu tun hat. So vieles mutet vertraut an und bleibt doch gänzlich fremd. Kleins Sprache ist absolut einzigartig. Poetische Neologismen, gewagte Komposita und eine ausgeprägte Verdichtung sind bezeichnend für seinen Stil. Die Kapitel heißen zum Beispiel „Spindseligkeit“, „Glastiefenschleim“, „Wandgewürm“ oder „Irrspiegel“. Während und nach der Lektüre wurde in mir der Wunsch wach, „Miakro“ verfilmt zu sehen. Aber vermutlich wäre ich von der Umsetzung enttäuscht, da das Buch überbordend bildhaft ist.

Georg Klein: Miakro. Roman
erschienen am 22. Februar 2018
www.rowohlt.de

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